Dienstag, 27. Oktober 2009

Rangdröl- Wasserfall der „Jugend“

ལ ང་ཚོའི་རྦབ་ཆུ།

Die strahlenden tausend Lichter der Vergangenheit

können nicht die heutigen Bedürfnisse ersetzen.

Die salzschweren Getränke von gestern

können nicht den momentanen Durst löschen.

selten zu finden ist der Körper der Geschichte

wird ihm keine zeitgemäße Lebenskraft eingehaucht,

kann der Puls des Fortschritts nicht schlagen,

kann das Blut des Fortschritts nicht zirkulieren.

Nichts kann sich entwickeln.

Gedichtsfragment1 von Döndrub Gyal

Rangdröl

Was ist außergewöhnlich an Döndrub Gyal?

von Puntsok Tsering

Döndrub Gyal ist immer noch einer der anerkanntesten Dichter Tibets.

Sein Stil ist einmalig, die Wortwahl sehr lebendig. Zunächst hat er Romane und Gedichte im traditionellen Stil geschrieben. Dann ist er der erste Dichter gewesen, der die jetzige tibetische freie Gedichtsform entwickelt hat.

In seinem Heimatort wird von vielen Tibetern behauptet, dass er die Reinkarnation des Yogi Rangdröl aus Gurung, Amdo, sei. Die Gurungpas sind damals sogar bis nach Beijing gereist und haben Döndrub Gyal gebeten, dass er sich dem offiziellen Anerkennungsritual unterzieht. Das hat er vehement abgelehnt. Allerdings hat er den Künstlernamen „Rangdröl“ 2 gehabt.

Das Besondere ist auch sein starkes tibetisches Nationalbewusstsein und gleichzeitig sein fortschrittlicher Geist. Als er in den 70gern in China studiert hat, hat er erlebt, wie seine chinesischen Mitstudenten die Tibeter als rückständig angesehen haben und auch ihn oft entsprechend verächtlich behandelt haben. Das hat ihn sehr geprägt. Andererseits hat er auch sehr viel in China gelernt, hat seinen Horizont erweitert.

Er hat sich gegen die Verkrustungen und Deformationen des tibetischen Buddhismus gewandt und Aberglauben und Machtmissbrauch der Klöster angeprangert. Zum Beispiel hat er eine Kurzgeschichte über einen falschen Tulku geschrieben, der von Dorf zu Dorf gezogen ist, die Leute betrogen hat und auch sich hemmungslos Mädchen genommen hat. Dafür ist er von einigen Tibetern sehr kritisiert worden und als „Atheist“ beschimpft worden. Damals hat gerade diese Kurzgeschichte eine heftige Diskussion in der tibetischen Gesellschaft entfacht. Als Döndrub Gyal zu Ohren gekommen ist, dass ein Ngagba ihn mit schwarzer Magie bedrohen würde, hat er nur gelacht und gesagt, an so einen Quatsch glaube er nicht.

1983 wurde sein erstes modernes Gedicht „Lang tsö bab chu“(Wasserfall der „Jugend“)3 in der Zeitschrift „Dhang Char“ (Leichter Regen)4 veröffentlicht. In diesem Gedicht hat er sehr deutlich Tibets historischen Hintergrund, die politische und gesellschaftliche gegenwärtige Situation und die mögliche Zukunft dargestellt. Es ist definitiv beeinflusst durch die moderne globale Literatur, die damals kurz nach dem Ende der Kulturrevolution aufkeimte.

Döndrub Gyal hat seitdem den Stil von vielen tibetischen Schriftstellern geprägt. Inhaltlich war er sehr mutig. Er hat mehr oder minder unverhohlen die Regierung kritisiert. Eine Passage eines seiner Gedichte lautet: Der Rauch der Hoffnung des Volkes wird sich sicherlich im Himmel zeigen, die Zeichen der Treue des Schneelandes werden sicherlich aus dem Süden heranschweben. Die Begegnung von Exil und Heimat wird sicherlich verwirklicht werden. Ein Lied, das nach wie vor in Tibet beliebt ist, lautet „Ema, Tso ngön po!“ (Ema, Kokonor) Der berühmte Kokonor, der Blaue See in Amdo, soll den Dalai Lama verkörpern. Prof. Dhungkar Rinpoche5 hat einmal gesagt, Döndrub Gyäl wäre ein brillanter Student gewesen: „Er saß im Klassenzimmer ohne etwas zu notieren; nach paar Tagen konnte er alles wiederholen was er gehört hatte“

Der plötzliche Tod Döndrub Gyals hat viele Gerüchte erzeugt:

Die tibetischen Patrioten vermuten, dass er von der Regierung ermordet worden sei. Die Tibeter, die ihn wegen seines frischen Geistes und seiner Unkonventionalität verehren, behaupten, dass er von den Reaktionären vergiftet worden sei. Die Abergläubigen vermuten, dass er ein Opfer der Schwarzen Magie geworden sei. Seine Konkurrenten behaupten, dass er dem Druck der tibetischen Gesellschaft nicht standgehalten habe. Manche behaupten sogar, man hätte ihn in Indien gesehen.....

Anmerkungen:

1 – Ein Fragment aus dem Gedicht Lang tsö Bab chu“ (tib.: lang tso’i rbab chu)་ལང་ཚོའི་རྦབ་ཆུ་

2 - Rangdröl bedeutet übersetzt aus dem Tibetischen: „selbst befreit“.རང་གྲོལ་


3 - „Jugend“ ist eine unzureichende Übersetzung: eigentlich ähnelt der Begriff „Lang Tso“ dem deutschen „in der Blühte sein“, womit in einer zweiten Bedeutungsebene das „Aufkeimen“ eines modernen Geistes gemeint ist.


4- Dhangchar (tib.: sBrang Char)སྦྲང་ཆར་ ist eine Zeitschrift, die zum ersten Mal in Juni 1981 in Amdo veröffentlicht worden ist. Es gibt vier Ausgaben im Jahr. Der Herausgeber der Zeitschrift ist (Qinghai Peoples publishing house) Tibetische Homepage: ti.tibet.cn/zqr/main.htm


„Leichter Regen“ bedeutet in der tibetischen Vorstellung, dass die aufkeimende Saat dadurch besonders gut wachsen kann.


5 - Prof. Dhungkar Lobsang Trinley Rinpoche (1927-1997). 1950 Geshe Lharamapa Examen. 1960 - 65 und 1978 - 85 Arbeit im Beijing Central Nationalities Institute. Während der Kulturrevolution (1966-73) Aufenthalt im Umerziehungslager. 1985 - 1996 Professor an der Universität Lhasa. Er hat viele Wissenschaftsbücher verfasst, darunter ein tibetisches Wörterbuch: Du dkar Tsig mdzod chen mo, Dhungkar, Tibetological Great Dictionary“, „China Tibetology Publishing House, Beijing, 2002

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